Will man den Nulltarif im ÖPNV beschreiben, so reicht es aus, die kostenlose und fahrscheinfreie Benutzung von Bussen und Bahnen im Nahverkehr anzuführen. Komplizierter wird es dann, wenn die Ziele, die durch einen solchen Nulltarif erreicht werden sollen, und die daraus resultierenden Probleme diskutiert werden. Die anspruchsvollste Aufgabe besteht aber darin, im Falle einer Entscheidung für den Nulltarif, das Tarifmodell zu implementieren, was in erster Linie die Planung seiner Ausgestaltung und vor allem dessen Finanzierung meint.
Auch wenn der Nulltarif im ÖPNV zur Zeit bedingt durch Erfolgsmeldungen aus dem belgischen Hasselt oder durch Nachahmer in der Bundesrepublik Deutschland mit Templin und Lübben in die Diskussion gekommen ist, so handelt es sich lediglich um eine "Renaissance" der Thematik. Die Ursprungsidee der kostenlosen Benutzung von Bussen und Bahnen stammt schon aus den siebziger Jahren und war auch zu dieser Zeit Mittelpunkt angeregter Argumentationen. Besonders vor dem Hintergrund sozialpolitischer und vor allem verkehrspolitischer Ziele wurde der Nulltarif diskutiert. Gerade letzteres hat im Zusammenhang mit Überlegungen zum Schutz der Umwelt höchst zeitgemäßen Charakter.
Unter sozialpolitischen Gesichtspunkten wurde angeführt, dass der Nulltarif als ein Instrument der Einkommensumverteilung dienen könnte. Vom Nulltarif würden überwiegend die Bezieher niedriger Einkommen profitieren, da sie zu der Hauptnutzergruppe des öffentlichen Verkehrs gehörten. Finanzierte sich der Nulltarif über den öffentlichen Haushalt und somit beispielsweise über Steuern des Einkommens, könnten somit höhere Einkommensklassen belastet werden. Es ist jedoch zu vermuten, dass sich die schon damals angenommene Vorliebe des eigenen Pkws als Statussymbol von "Wenigverdienern" auch auf heutige Sicht übertragen lässt. Umgekehrt ist auch zu beachten, dass sich aufgrund des heutigen gestiegenen Umweltbewusstseins auch mittlere und höhere Einkommensschichten zur Benutzung des ÖPNVs entscheiden. Schlussfolgernd könnte man sagen, dass der Nulltarif im ÖPNV allen zu gute käme, und das auch alle (natürlich kann man soziale Härten berücksichtigen) in gleichem Maße zu dessen Finanzierung herangezogen werden könnten.
Schon in der damaligen Diskussion und durch den unaufhörlich fortschreitenden individuellen Motorisierungsgrad auch heute, steht das verkehrspolitische Ziel der Erwirkung eines Modal-Shifts vom MIV zum ÖPNV mit weitem Abstand zu den anderen im Vordergrund:
Da heute von keinen gleichen Wettbewerbsbedingungen für MIV und ÖPNV gesprochen werden kann, kann die Selbstregulierung des Marktes hier nicht zur Anwendung kommen. Zu den Wettbewerbsverzerrungen kommt es, da sich externe Kosten des MIV, wie z.B. Umwelteffekte, nicht in dessen Benutzerpreisen widerspiegeln. Verschlimmernd kommt noch hinzu, dass durch nicht realisierte Kosten in den meisten Fällen noch nicht mal die ermittelbaren Kosten der Pkw-Benutzung mit den ÖPNV Tarifen verglichen werden, sondern zumeist nur ein Bruchteil, nämlich die reinen Benzinkosten. Auf diese Tatsache ist es auch zurückzuführen, dass gerade der öffentliche Verkehrsträger subventioniert und dadurch die Wettbewerbsverzerrung reduziert werden soll. Der Nulltarif (sozusagen eine Vollsubventionierung) würde somit den maximalen tarifischen Anreiz zur Nutzung des ÖPNV geben.
Kommt es durch diesen maximalen Anreiz dann tatsächlich zu Verlagerungen (positive Einschätzungen räumen ein Verlagerungspotential von 40% ein), so führt das zu einer Verringerung der sozialen Kosten durch weniger Unfälle, geringere Umweltbelastungen und Straßenentlastungseffekten.
Textauszüge aus "Wirkungsanalyse des Nulltarifs im ÖPNV am Beispiel der Stadt Darmstadt" (Kalbow, 2001)