Konzept Mitte der neunziger Jahre unter dem Schlagwort „City-Logistik“ bereits erörtert
Liegt im Westen der Stadt der Hebel, um die Last des Lkw-Verkehrs entscheidend zu mindern? Gibt es Aussicht auf einen Befreiungsschlag beim Feinstaub-Problem?
„Güterverteilzentrum“ heißt das Zauberwort, dass sich wie durch die Hintertür in die Debatte geschlichen hat – als eine von vielen denkbaren Maßnahmen zur Senkung der hohen Feinstaub-Belastung, die im Darmstädter Magistrat erörtert werden (wir haben berichtet).
Tatsächlich aber könnte diese Option nicht nur in überschaubarer Zeit verwirklicht werden – sie böte auch die Chance, mehrere Schwierigkeiten mit einem Streich aus dem Weg zu räumen. Die Lösung, und das ist das Problem, wird aber nicht zum Nulltarif zu haben sein.
Tatsächlich ist der Gedanke nicht neu. Mitte der neunziger Jahre war ein entsprechendes Konzept unter dem Schlagwort „City-Logistik“ bereits ernsthaft erörtert worden. Der Grundgedanke: Die riesigen Fernverkehrs-Lastzüge bringen ihre Güter nicht direkt zum Abnehmer in der Stadt, sondern entladen in einem Güterverteilzentrum am Stadtrand.
Von dort wird die Ware mit kleineren Lastern und Transportern in die Läden gefahren. Die großen Lkws könnten so weitgehend außerhalb der Kernstadt gehalten werden; durch ausgeklügelte Logistik könnte die Zahl der Fahrzeuge, die zur Belieferung der Einzelhandelsgeschäfte im Stadtgebiet herumkurven, auf ein Bruchteil reduziert werden.
„Das Konzept ist damals an mangelndem Interesse der Darmstädter Geschäftsleute gescheitert“, erinnert sich Umweltdezernent Klaus Feuchtinger. Denen sei das Umlade-Verfahren zu umständlich und zu teuer gewesen.
„Damals drohten aber auch noch keine Sperrungen“, verweist der Grünen-Politiker auf die aktuelle Feinstaub-Diskussion. „Also müsste man neu überlegen, ob sich das doch lohnt – vielleicht eher, als alle Lkws mit Rußfiltern auszustatten.“
Ein Vertreter der Deutsche-Bahn-Tochter Railion habe ihn kürzlich als Reaktion auf einen ECHO-Artikel angeschrieben und angeboten, ein solches Güterverteilzentrum gemeinsam einzurichten, berichtet Feuchtinger.
Derzeit sei sein Dezernat mit der Erstellung eines Aktionsplans zur Luftreinhaltung ausgelastet; „sobald wir wieder etwas Luft haben“, wolle er auf das Angebot eingehen und das Gespräch mit Railion suchen.
Bei Railion an der Bismarckstraße, auf dem Gelände des alten Güterbahnhofs, wiegt sich das Unkraut sanft im Wind. Überwucherte Gleise, bröckelnde Bahnsteige und schaukelnde Lampen unter einem rostigen Vordach verbreiten die Atmosphäre eines Italo-Westerns.
In scharfem Kontrast dazu stehen die zwei knallgelb und knallrot gestrichenen Lagerhallen, über die Eberhard Schreiber herrscht, der Leiter des Lager- und Logistikzentrums von Railion in Darmstadt.
Er war es, der Feuchtinger angeschrieben hat – und er schildert auch am Freitag bei einem Ortstermin die Möglichkeiten auf dem weitgehend brach liegenden Areal in leuchtenden Farben. Schreiber vergisst nicht, darauf hinzuweisen, dass letztlich nicht er über derartige Projekte entscheiden könne.
„Platz ist da“, sagt der Logistiker; bereits in den bestehenden Hallen könnten kurzfristig Kapazitäten zur Lagerung von mehr als 10 000 Euro-Paletten geschaffen werden. Das gesamte Areal stehe zur Bebauung – oder für die in einem Umschlagzentrum benötigten Freiflächen – zur Verfügung.
Das Konzept könnte so funktionieren: Die Ware wird vom Abnehmer nicht direkt ins eigene Geschäft bestellt, sondern in das Güterverteilzentrum. Von dort aus wird das Stückgut mit kleineren Fahrzeugen aus dem Bestand des Zentrums in der Stadt verteilt.
Dabei könnten nach Belieben umweltfreundliche Elektro- oder Erdgasfahrzeuge eingesetzt werden, Rußfilter für Dieselwagen seien ohnehin selbstverständlich, sagt Schreiber. Die Zulieferer hätten den Vorteil, wegen der Lagerkapazität im Verteilzentrum Lieferungen bündeln zu können; die Abnehmer bekämen ihre Ware punktgenau zur bestellten Zeit, was etwa für Geschäfte an Fußgängerzonen besonders wichtig sei.
Ein weiterer Vorteil: Auch die Bahn könne unmittelbar in das Verteilsystem einbezogen werden, „viele Importwaren kommen im Container am Hafen an, die könnten direkt hertransportiert werden“. Das Problem, weiß Schreiber, „ist die Kostenfrage, das muss man ganz klar sagen“.
Die Leistungen eines Güterverteilzentrums müssten bezahlt werden. Deswegen werde die Bahn ein solches Projekt voraussichtlich auch nur in Kooperation mit der Stadt angehen. Die Baukosten einer modernen Lagerhalle wie der vorhandenen roten – 6000 Quadratmeter groß, 13 Meter hoch, beheizt – veranschlagt der Leiter des Railion-Logistikzentrums mit rund sechs Millionen Euro.
Eindeutige Unterstützung erhält das Konzept eines Güterverteilzentrums von Seiten der Darmstädter FDP, die sich gemeinhin der Sache des Einzelhandels verpflichtet fühlt. Fahrverbote oder eine City-Maut als Maßnahmen gegen die Feinstaub-Belastung lehnt die Partei ab – „mit der Schaffung eines Logistikzentrums zur Koordination des Belieferungsverkehrs könnte jedoch ein nachhaltiger Lösungsweg eröffnet werden“, erklärt der neue Kreisvorsitzende Leif Blum.
Die FDP sieht es daher als „dringend notwendig“ an, „möglichst schnell“ Gespräche mit den Unternehmen über die Einrichtung eines solchen Zentrums aufzunehmen.