Die Verhandlungen um die Ausgestaltung eines ICE-Bahnhofs im Darmstädter Westwald sind eröffnet. Mit einer ausgefeilten Präsentation versuchten Vertreter der Bahn am Dienstagabend im Darmstadtium, den Kommunalpolitikern im Bauausschuss des Stadtparlaments diese Anbindung ans Hochgeschwindigkeitsnetz schmackhaft zu machen.
Von den Stadtverordneten kamen dazu kritische Fragen; gleichwohl wurde erkennbar, dass die meisten Fraktionen grundsätzlich bereit sind, bei Nachbesserungen der Bahn einem Westbahnhof zuzustimmen.
Oliver Kraft vom Vorstand der DB Netz AG betonte in seinem Vortrag vor allem die Nachteile der bislang diskutierten Anbindungs-Varianten: Bei einer Vollanbindung des Hauptbahnhofs würden 252 Züge mehr pro Tag durch das Stadtgebiet fahren, darunter zahlreiche ICEs, „die mit mindestens 250 Stundenkilometer ohne Halt durchfahren“, und rund 40 Güterzüge in der Nacht.
Eine Bypass-Lösung mit eingleisigem Abzweig zum Hauptbahnhof („Konsenstrasse“) berge „extrem große finanzielle Risiken für Darmstadt“: Für den gewünschten Tunnel könne leicht ein dreistelliger Millionenbetrag auf die Stadt zukommen.
Ein „Fernbahnhof Darmstadt West“ hingegen ermöglicht nach Darstellung der Bahn bei hoher Nachfrage mehr ICE-Halte, zudem müsse weniger Wald gerodet werden, es gebe auch keine Bauarbeiten im inneren Stadtgebiet. Sogar die Bewohner der benachbarten Siedlung Tann würden entlastet, da der in Tieflage gebaute Bahnhof einen Deckel erhalte, im Gegensatz zur ursprünglich geplanten Trassenführung im offenen Trog.
Für den Fernbahnhof mit zwei Durchfahrt- und zwei Haltegleisen stellte Kraft mehrere Ausbaustufen in Aussicht. Stufe eins („Standard“) würde die Bahn übernehmen: Auf dem unterirdischen Bahnhof sind dabei eingeschossige Pavillons und Parkflächen mit insgesamt 250 Kfz-Stellplätzen vorgesehen.
Die Computeranimation von Stufe zwei erregte Heiterkeit bei den Zuschauern der Ausschusssitzung: Auf dem Bahnhofsdeckel im Wald erscheinen vier zehnstöckige Hochhäuser. In weiteren Ausbaustufen wächst stufenweise eine regelrechte Hochhaussiedlung, mitsamt einem mächtigen Torbau jenseits der Autobahn Richtung Griesheim.
„Zusätzliche Einnahmen und Arbeitsplätze“ für die Stadt stellte Kraft bei der Präsentation in Aussicht, während bei den Zuschauern das Gemurmel anschwoll. „Im Rhein-Main-Gebiet werden attraktive Flächen gesucht.“ Er nannte als Beispiel einer florierende Entwicklung den neuen Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe.
„Das ist falsch“, hielt die FDP-Stadtverordnete Ruth Wagner dem Bahnmanager entgegen: Der Querbahnsteig am Darmstädter Hauptbahnhof stehe weitgehend leer, ebenso wie umfangreiche Büroflächen in der Region. In Kassel sei zudem der Zugverkehr komplett in den neuen Bahnhof verlegt worden, was man in Darmstadt nicht wolle. Von „Science Fiction“ sprach Wagners Parteifreund Gert Mittmann.
Die Kosten für die Standard-Variante bezifferte Kraft auf Anfrage „im niedrigen dreistelligen Millionenbereich“; die Bahn, so versprach er, würde sie ohne Beteiligung der Stadt komplett bezahlen. Für Hotels, Parkhäuser und Bürotürme müsse man Investoren suchen.
Diskussionen entzündeten sich an der Anbindung eines Fernbahnhofs an den bestehenden Hauptbahnhof, dessen Attraktivität nach Versicherung der Bahn-Vertreter nicht gemindert werden solle.
Kraft verwies auf die schon bestehenden Straßenbahngleise; die vorhandene Station in der Siedlung Tann solle lediglich um 100 Meter auf das Bahnhofsdach verschoben werden, dann sei der Hauptbahnhof in fünf Minuten erreichbar. Auch dies wolle die Bahn bezahlen; die Stadt solle lediglich für einen engeren Takt sorgen.
Mehrere Kommunalpolitiker forderten eine Kostenübernahme auch der Straßenbahn-Folgekosten durch die Bahn. Die Ausschuss-Vorsitzende Brigitte Lindscheid (Grüne) rückte die Verhandlungsbasis ins Blickfeld: Laut Fußnote im Bundesverkehrswegeplan müsse die Bahn ihre Schnellzüge über den Darmstädter Hauptbahnhof führen – wenn die Stadt auf diese „schnucklige Fußnote“ verzichte, müsse man entsprechende Gegenleistungen erwarten.
In die gleiche Kerbe hieb die SPD-Stadtverordnete Sabine Seidler: Für einen neuen Bahnhof müsse die Bahn „städtebauliche Qualität“ garantieren, sie solle sich an den Straßenbahn-Kosten beteiligen und sich zudem für bessere S-Bahn-Verbindungen in die Region stark machen. „Wir hoffen auf Nachbesserungen und setzen große Hoffnungen in kommende Verhandlungen und Paketlösungen“, fasste Lindscheid zusammen.
Oberbürgermeister Walter Hoffmann (SPD) machte am Rand der Ausschusssitzung deutlich, dass er die Westbahnhofs-Variante befürwortet. „Wenn wir uns in die Richtung bewegen, muss aber mehr rumkommen“, fügte er hinzu.
Der einst von ihm selbst mit der Bahn ausgehandelte Bypass ist für Hoffmann gestorben: „Ich will mit der Konsenstrasse nicht mehr weiter. Die technischen und finanziellen Probleme sind zu groß.“ Auch die Führung über den Hauptbahnhof solle man „nicht verklären“.
Anwesende Bewohner der Siedlung Tann hingegen nannten die Bahn-Vorschläge „nicht akzeptabel“. Der Wald zwischen Siedlung und Autobahn werde dabei komplett abgeholzt, die Auto-Anbindung laufe durch die Siedlung, zudem habe man Sorgen um die eigenen Häuser wegen der Bodenerschütterungen durch den ICE-Verkehr.