Laut Raumordnungsplan ist Halt im Hauptbahnhof die umweltverträglichste Variante
Wenn Darmstadt einen ICE-Bahnhof in der Siedlung Tann erhält, dann wird es ein reiner U-Bahnhof sein: östlich der Autobahn, etwa einen Kilometer lang, knapp vierzig Meter breit, ausgestattet mit vier Gleisen in drei getrennten Röhren. Auf den beiden mittleren Gleisen können ICE mit Tempo 300 durchfahren, auf den Außengleisen Züge halten.
Dies erklärte Paul Gerhardt, Projektleiter der Bahn AG für die Neubaustrecke Frankfurt–Mannheim, am Montagabend bei einer Podiumsdiskussion des Darmstädter Presseklubs im Alten Schalthaus.
Wird dieser ICE-Halt in der Siedlung Tann Darmstadt zusätzlichen Nutzen bringen? Oder den Hauptbahnhof schwächen, in dem bislang Fern-, Regional- und Nahverkehr auf vorbildliche Weise gebündelt sind?
Um diese Fragen kreiste die Debatte, die beim Publikum zum Teil heftige Reaktionen auslöste – Folge der unerwarteten Kehrtwende, die Oberbürgermeister Walter Hoffmann drei Tage zuvor in der ICE-Frage vollzogen hatte: Verzicht auf den Halt des ICE im Hauptbahnhof, so wie er vom Land, von der Region und von der Stadt stets gefordert worden war.
Der Projektleiter erklärte, von der Art der Anlage her ermögliche ein Bahnhof in der Siedlung Tann mehr ICE-Halte als im Hauptbahnhof. Der eingleisige Bypass, der dorthin hatte führen sollen, war für eine Frequenz von einem Zug je Stunde und Richtung ausgelegt.
Bei einem Halt in Tann sei der Fahrzeitverlust kürzer, auch brauchten haltende Züge nur „rechts ausscheren“; dies erlaube eine höhere Frequenz. „Eine Garantie, wie viele Züge wirklich halten“, werden Sie aber von niemandem bekommen.“
Mit den ICE-Zügen auf dieser Strecke würde Darmstadt auch direkt an den Flughafen angebunden, sagte Gerhardt. Extra Nahverkehrszüge zu diesem Zweck werde es auf der Neubaustrecke jedoch nicht geben. Die Verbindung Frankfurt–Mannheim hat keinen weiteren Halt in Südhessen; auch könnten nicht Nahverkehrszüge von anderen Strecken dorthin geführt werden.
Die mangelnde Verknüpfung mit dem restlichen Verkehr in der Region wurde sowohl auf dem Podium wie auch vom Publikum immer wieder hinterfragt. Hoffmann verwies hier auf das Heag-Netz und sprach von zusätzlichen Straßenbahnverbindungen – ohne zusätzliche Kosten für Darmstadt.
„Es besteht die Chance, dass wir in den Verhandlungen jetzt ein Paket schnüren, in dem die ÖPNV-Anbindung mit drin ist.“ Was die gesamte Finanzierung angeht, gelte für die Stadt: „Wir übertragen auf die Siedlung Tann das Prinzip, das schon für die Konsenstrasse galt: Alles bezahlt die Bahn. Punkt. Über etwas anderes braucht man mit der Stadt nicht zu reden.“
Gerhardt dämpfte jedoch Hoffmanns Erwartungen sogleich – auch die, die Bahn AG werde etwa das Betriebsdefizit einer neuen Darmstädter Tramlinie übernehmen. Er machte klar, „dass die Bahn nur baut, was unbedingt notwendig ist“.
Den ICE-Halt in der Siedlung Tann skizzierte er so: Zwei Bahnsteige zum Ein- und Aussteigen, „und da kommt ein Deckel drauf“. Für alles andere, so schlug der Bahn-Vertreter vor, solle sich die Stadt einen Investor suchen, „der baut Ihnen dann darüber ein Hotel, ein Einkaufszentrum und ein Parkhaus“.
„Noch ein Einkaufszentrum brauchen wir nicht“, sagte Moderator Harald Pleines und erntete zustimmende Lacher im Publikum. Zuvor hatte der Leiter der ECHO-Lokalredaktion den Oberbürgermeister nach den Gründen für dessen Kehrtwende gefragt.
Hoffmann versicherte, er habe am 13. März erfahren, wie teuer ein Bahntunnel an der Eschollbrücker Straße werde (44 Millionen Euro) und binnen einer Woche eine Antwort darauf finden müssen. Wieso diese Eile – die Frage ließ er unbeantwortet.
Auf dem Podium mochte man Hoffmann nur bedingt folgen. Gerhardt erklärte diplomatisch, die Bahn habe „2008 Zahlen genannt, die wollte uns die Stadt nicht glauben“; die Zahlen seien nun „bestätigt worden“.
Susanne Jung, Sprecherin der Industrie- und Handelskammer sagte, sie sei „überrascht, dass der Oberbürgermeister von den Zahlen überrascht war“. Nur die „Vollanbindung des Hauptbahnhofs“ sei ein „Standortfaktor“, der Halt in Tann allenfalls „third best“, dritte Wahl.
„Hat Darmstadt nicht zu früh klein beigegeben?“ fragte Moderator und FAZ-Redakteur Werner Breunig Landrat Alfred Jakoubek. Der kritisierte Hoffmanns Entscheidung: „Wenn man den politischen Willen zur Gemeinsamkeit gehabt hätte, dann hätte man den ICE im Hauptbahnhof mitsamt einem Tunnel an der Eschollbrücker Straße auch bekommen.“ Die Region habe einmütig den Hauptbahnhof gewollt, „doch eine Lösung geht eben nur mit der Stadt“.
„Wir wünschen uns, dass aus dem Scherbenhaufen, so wie er vor uns liegt, das Beste gemacht wird“, schloss Susanne Jung. Die IHK-Vertreterin riet der Stadt, sich nun für „eine schnelle S-Bahn zum Frankfurter Flughafen einzusetzen, also für den Bau einer neuen Strecke, die von Neu-Isenburg dorthin führt“ – eine deutliche Empfehlung, Abschied von Illusionen zu nehmen.