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19.01.2007

Quelle:Darmstädter Echo

Die Neue guckt mit Kullenaugen

Straßenbahn: Die Heag empfängt den ersten Triebwagen der Baureihe ST 14 – Achtzehn Fahrzeuge für 39 Millionen Euro

Vorsichtig wurde er von der Leine gelassen: Der jüngste Triebwagen der Heag. Gestern Morgen lieferte ihn ein Tieflader mit 48 Rädern am Böllenfalltor ab. Gebaut wurde Wagen 0775 – der erste von achtzehn, die in diesem Jahr den Fuhrpark der Heag auffrischen – bei Alstom (vormals Linke-Hoffmann-Busch) in Salzgitter; die Elektronik steuert Bombardier in Mannheim bei.

Mit der neuen Serie (Bezeichnung: ST 14) geht es auf den Gleisen wieder etwas freundlicher zu. War die Vorgängerserie ST 13 noch von einer kantig-grimmigen Front geprägt, so entspricht das Gesicht des Nachfolgers fast dem Kindchenschema. Das niedliche Näslein ist nicht länger von Kiemen durchschnitten, daneben lächeln Kulleraugen – viertelovalförmige Klargläser bedecken die Scheinwerfer. Die Freundlichkeit hat ihren Sinn, kündigt sie doch auch neuen Komfort an. Erstmals verfügt ein Linienfahrzeug der Heag über eine Klimaanlage.

Weitere Änderungen: Die Heag hat auf das Pink als Lackierung der Griffe und Haltestangen verzichtet; nun sind sie verchromt. Und man erfüllt die aktuellen Behinderten-Richtlinien. An der zweiten Tür erleichtert eine ausklappbare Rampe Rollstuhlfahrern den Einstieg; der Rollstuhl kann mit einer Schnalle festgebunden werden, es gibt eine Sprechanlage für den Kontakt zum Fahrer. Informationselektrik auch unter der Decke: Auf mehrteiligen Bildschirmen kann der Fahrgast lesen, wo es lang geht.

Seit 1982 beschafft die Heag nur noch Achtachser. Die Serien ST 10 bis ST 12 kamen noch von der Waggon-Union in Berlin – vom Mauerbau bis zum Mauerfall unterstützte Darmstadt mit seinen Straßenbahnbestellungen die Industrie der geteilten Stadt. Danach spielte ökonomische Orientierung eine größere Rolle als die politische. Gleichwohl ging die Heag mit ihrem Wechsel zu Linke-Hoffmann-Busch erneut eigenwillige Wege, denn der Wagentyp aus Salzgitter galt auf dem deutschen Markt als Außenseiter. Vor Darmstadt hatte ihn nur Magdeburg geordert. Inzwischen läuft er auch in Gera und Braunschweig.

Allerdings ließen sich aus diesem Typ problemlos Anhänger ableiten. Dies nutzte die Heag, um mit dem Kauf von 30 Beiwagen aus Salzgitter bereits 1995 auf jeder Linie Niederflurkomfort anbieten zu können – wenigstens hinten. Die ersten kompromisslosen Niederflur-Triebwagen (Serie ST 13) rollten dann 1998 an.

Den Berliner Wagen aber geht es nun an den Kragen. Wenn die 18 neuen Fahrzeuge vollständig im Betrieb stehen, werden die Sechsachser der Reihe ST 10 von 1976 und die Achtachser der Reihe ST 11 von 1982 ausrangiert. Mit einem Alter von dreißig Jahren gehört eine Straßenbahn heute zum alten Eisen. Frühere Generationen waren auch nach fünfzig Jahren noch fit. Die jungen Oldtimer abgerechnet, die zur Ausmusterung anstehen, erhöht sich der Triebwagenbestand der Heag um vier. „Damit“, so Heag-mobilo-Direktor Karl-Heinz Holub, „können wir auf neuen Strecken einen attraktiven Takt anbieten.“

Die Anlieferung des Wagens 0775 geriet gestern zum kleinen Betriebsfest. Vorstand und Betriebsleitung waren vollständig versammelt; hinter den Türen der Remise guckte das Werkstattpersonal zu. Der 28 Meter lange und 32 Tonnen schwere Triebwagen stand zunächst auf dem Tieflader und hing am Stahlseil, das in eine Winde der Lkw-Zugmaschine gespannt war. Das Seil wurde abgewickelt, und von seinem Gewicht gezogen rollte die Bahn langsam hinab auf Gleis elf des Betriebshofes.

Die Techniker freute es, dass dies ohne Quietschen und Knarren gelang. Und die Laien staunten, wie weit die Gelenke zwischen den Waggonteilen sich auch um die horizontale Achse drehen ließen. Alle waren so begeistert, dass sie sogar den Applaus vergaßen, der in solchen Momenten üblich ist. Die Heag zahlt für die 18 Fahrzeuge 39 Millionen Euro – und sie finanziert sie zu hundert Prozent, da Hessen, anders als die anderen Bundesländer, keine Zuschüsse mehr gewährt. Kommunale Betriebe, so will es die Landesregierung, sollen mit Privatunternehmen konkurrieren – und so ausgetrocknet werden, dass sie diesen langfristig weichen.

Diese Perspektive war gestern jedoch kein Thema. Die Heag präsentierte sich als potentes Unternehmen – mit kraftvollen Angestellten. Denn zum Schluss gab es ein bisschen „Wetten, dass“: Fünf Männer schoben die 32 Tonnen locker in die Halle.

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